14/11/2010 Frank Farian (interview for Spiegel Online)
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14/11/2010 Frank Farian (interview for Spiegel Online)
14. November 2010
Starproduzent Frank Farian: "Deutschland sucht den Superstar - und findet ihn nicht"
Mit Boney M. schuf er eine der erfolgreichsten Retortenbands des Pop, mit Milli Vanilli löste er einen Skandal aus: Im Interview spricht Musikproduzent Frank Farian über Castingshows als Volksbelustigung, seinen Krach mit Dieter Bohlen und ein Angebot von Michael Jackson.
Frage: Herr Farian, Mitte der siebziger Jahre gehörten Sie zu den ersten Produzenten, die eine Musikband durch eine Casting-Agentur besetzen ließen. Am Anfang stand der Song "Baby, Do You Wanna Bump", den Sie schrieben und im Studio mit Ihrer Stimme in verschiedenen Tonlagen aufnahmen. Als der Song in die Hitparaden kam und Sie in einer Fernsehshow auftreten sollten, casteten Sie kurzerhand vier Interpreten, die unter dem Bandnamen Boney M. Ihren Song auf die Bühne brachten. Warum wollten Sie nicht selbst ins Scheinwerferlicht? Fanden Sie sich zu hässlich?
Frank Farian: Ich war nie der wirklich gut aussehende Typ, eher unauffällig. Vielleicht lag es an meiner schiefen Nase, vielleicht war ich einfach zu faul, um so viel zu reisen. Meine erste Band, Frank Farian und die Schatten, hatte ich ja schon 1961 gegründet und da waren wir ständig auf Tour, zehn Jahre lang. Weil ich erstens Geld verdienen musste, um meine Familie zu ernähren und zweitens auch schon Geld beiseite legte für meine Produktionen, die ich bereits damals im Kopf hatte. Als ich sie mit Boney M. dann tatsächlich umsetzen konnte, war ich einfach zu müde, um auf den Live-Touren immer dabei zu sein.
Frage: Boney M. bestand aus den drei Sängerinnen Liz Mitchell, Marcia Barrett und Maizie Williams. Dazu tanzte, oft mäßig bekleidet, Bobby Farrell, der zuvor als DJ gearbeitet hatte. Alle vier wurden in der Karibik geboren und kamen als Jugendliche nach Europa. Zählte beim Casting für Boney M. primär die Optik?
Frank Farian: Die mussten sowohl gut singen als auch gut performen! Die Interpretation auf der Bühne und im Fernsehen ist essentiell. Der Künstler muss dem Publikum sein Image und seine Musik rüberbringen, er muss über den Bildschirm im Wohnzimmer präsent sein. Mit "Baby, Do You Wanna Bump" wollte ich endlich internationalen Erfolg haben. Darauf war ich immer ganz scharf, meine Gier nach einem Welterfolg war sehr ausgeprägt. Meine Stimme reichte allerdings nicht aus, um ein ganzes Album zu füllen. Also suchte ich noch jemanden, der mich gesanglich unterstützen konnte. Und das war Liz Mitchell. Sie war der Schlüssel zum ganz großen Erfolg. In Kombination natürlich mit meiner Wenigkeit, als hart arbeitender Produzent und Komponist.
Frage: Bobby Farrell konnte aber nicht singen. Sein Part beschränkte sich auf das Tanzen, dazu bewegte er die Lippen zu Ihrer Stimme.
Frank Farian: Ja, aber Bobby Farrell auf die Bühne zu bringen, war für mich ein Muss. Ich habe nämlich schon früh erkannt, dass man mit wenigen Mitteln und einem gut aussehenden Typen viel mehr erreichen kann, als mit einem herausragenden Musiker, der aber eine schiefe Nase hat oder einfach schlecht aussieht. Stellen Sie sich einmal Elvis Presley ohne sein schönes Gesicht vor. Es gab mit Sicherheit bessere Sänger als Presley, aber die sahen eben nicht so sexy aus.
Frage: Auch in Castingshows wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Popstars" suchen Musikproduzenten nach Interpreten für ihre Songs. Sind Sie der Avantgardist der Casting-Gesellschaft?
Frank Farian: Mit Casting in diesem Sinne hatte Boney M. nichts zu tun. Das war ein Projekt und ich war der Chef. Ich habe auch Meat Loaf produziert, der eine Bombenstimme hat. Oder Far Corporation, für die ich den Sänger von Toto, Bobby Kimball, engagierte, einen der besten Rock-Sänger der Welt. Das waren alles herausragende Stimmen, die Sie in keiner Castingshow finden.
Frage: Warum musste Bobby Farrell dann mit auf die Bühne?
Frank Farian: Na wegen der Show! Und irgendwie musste ja auch meine tiefe Stimme erklärt werden, die in den Songs zu hören ist. Wir haben aber nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass Frank Farian das fünfte Mitglied von Boney M. war. Bobby Farrell hat immer gesagt: "Meine Beine und deine Stimme, das ist unschlagbar." Er hat meine Stimme auf der Bühne so interpretiert, dass man gar nicht glauben konnte, dass das eigentlich Frank Farian ist. Wir waren eine richtige Einheit.
Frage: Aber authentisch war diese Musik nicht.
Frank Farian: Es hat aber authentisch ausgesehen und sich auch so angehört. Das hat mir genügt. Wissen Sie, ich wollte immer nur meine Musik nach oben bringen. Ich war gierig nach einer Nummer eins. Und als ich das geschafft hatte, da wollte ich den Erfolg auch nicht mehr hergeben. Ich wollte immer wieder einen neuen Hit. Zehn, 15-mal konnte ich einen Hit nach dem nächsten landen. Das war ein wunderschönes Gefühl, eine Art Bestätigung für die jahrelangen Entbehrungen. Schon als kleines Kind habe ich geträumt, dass meine Stimme aus dem Radio kommt. Ich hatte mich mein ganzes Leben kaputt geträumt nach diesem Erfolg. Und jetzt, wo er endlich da war, hätte ich sagen sollen: "Das ist nicht authentisch, das mache ich nicht mehr?" Nein! Ich habe ja so hart dafür gearbeitet.
Frage: Ist dieser Ehrgeiz auch der Grund dafür, dass Sie bis heute keine deutschsprachigen Künstler produziert haben? Abgesehen von Ihrem frühen Erfolg in den siebziger Jahren als Schlagerstar mit "Rocky", feierten Sie Ihre großen Hits ausschließlich mit englischsprachigen Songs.
Frank Farian: Ich habe früh erkannt, dass ich mit deutschen Künstlern keine Welterfolge feiern kann. Die Engländer und auch die Amerikaner spielen nämlich keine deutsche Musik im Radio. Nena war die große Ausnahme. Deswegen achtete ich immer peinlichst darauf, dass man meiner Musik nicht anhört, woher sie kommt. Bei Milli Vanilli haben sich alle gewundert, dass diese Band tatsächlich in Rosbach bei Frankfurt produziert wird.
Frage: Ihr Popduo Milli Vanilli war ebenfalls eine äußerst erfolgreiche Band, die auch in den USA die Charts stürmte und so weit nach oben kam wie keine andere deutsche Produktion zuvor. Dann allerdings sorgte ein Skandal für den Absturz. Nachdem bekannt geworden war, dass die beiden Stars nicht selbst sangen, sondern nur die Lippen zu Melodien aus der Konserve bewegten, mussten Sie 1990 den Grammy für die beste Newcomer-Band wieder zurückgeben. Offensichtlich wurde hier die Grenze zwischen akzeptierter Künstlichkeit und Irreführung überschritten. Wie konnte Ihnen als Pop-Profi ein solcher Missgriff passieren?
Frank Farian: Ich hatte damals einen Song produziert, dessen Originalsänger aber nicht telegen genug waren, um ein Musik-Video mit ihnen zu drehen. Nun hatten mich kurz zuvor zwei junge Männer, Robert Pilatus und Fabrice Morvan, kontaktiert, die attraktiv aussahen und sich gut bewegen konnten. Also dachte ich mir, die zwei Jungs können in dem Video doch tanzen. Das war die Grundidee. Als ich dann zum Videodreh kam, hatten sich Robert und Morvan schon die Mikrophone geschnappt und bewegten ihre Lippen zum Playback. Ich wollte das beenden und sagte, dass wir das nicht machen können. Aber alle anderen meinten: "Sei ruhig, lass alles schön laufen. Die beiden sind eine Weltsensation!" Dann habe ich nichts mehr gesagt.
Frage: 20 Millionen Alben haben Milli Vanilli verkauft. Wie haben Pilatus und Morvan auf den plötzlichen, weltweiten Erfolg reagiert?
Frank Farian: Die wurden ja von jetzt auf gleich in schwindelnde Höhen katapultiert. Sie wurden arrogant, kamen nur noch mit dicken Sonnenbrillen ins Studio und haben niemandem mehr "Guten Tag" gesagt. Rob verkündete sogar: "Ich gebe nur noch Interviews, wenn ich vorher Drogen bekomme." Das hat plötzlich eine ganz eigene Dynamik entwickelt, irgendwann dachten die zwei wirklich, sie seien die Sänger von Milli Vanilli. Rob rief mir im Studio zu: "Dreh' mal meine Stimme lauter!" Er war völlig realitätsfremd. Bei ihrer Amerika-Tournee, die sie gegen meinen Willen gemacht haben, war es dann so weit: Bei einem Auftritt blieb das Playback-Band hängen und es lag offen zutage, dass die beiden nicht singen konnten.
Frage: Was haben Sie empfunden, als der Schwindel aufflog?
Frank Farian: Das war für mich eine absolute Niederlage. Ich habe es als großen Betrug am Publikum empfunden und mir geschworen, so etwas nie wieder zu machen.
Frage: Wie ist es überhaupt so weit gekommen? Haben Sie die Zügel entgleiten lassen?
Frank Farian: Ja. Aber das geht nicht. Ich muss die Zügel in der Hand behalten. Und deswegen habe ich auch nach dem zweiten Album den Schlussstrich gezogen, reinen Tisch gemacht und der Öffentlichkeit die Wahrheit mitgeteilt.
Frage: Robert Pilatus hat des Absturz nicht verkraftet. Er starb 1998 an einer Überdosis Drogen einsam in einem Hotelzimmer in Friedrichsdorf. Wie groß sind Ihre persönlichen Schuldgefühle?
Frank Farian: Robert war nicht mehr zu helfen. Diese ganze Aufmerksamkeit hat ihn kaputt gemacht. Schon 1991 hatte er sich die Pulsadern aufgeschnitten, sein ganzes Geld ging für Drogen drauf. Irgendwann hat er dann Autos aufgebrochen und musste ins Gefängnis. Da habe ich die Kaution gezahlt und ihn rausgeholt. 10.000 Mark habe ich ihm gegeben, damit er in Sri Lanka einen Entzug macht. Wir wollten nämlich ein Comeback starten. Aber Rob ist mit dem Geld zum Bahnhof gefahren und hat sich vollgekokst. Einen Tag später kam er abends ins Studio, am ganzen Körper zitternd. Er war völlig blank, nicht einmal den Taxifahrer konnte er mehr bezahlen. Ich sagte: "Geh ins Hotel und schlaf dich aus. Morgen reden wir über die Sache." Aber dann war er tot. Mittags um drei.
Frage: Der Skandal von Milli Vanilli brachte Ihnen nicht nur Kritik und Häme ein, Sie wurden auch zur Kasse gebeten. Wegen Verletzung der Wettbewerbsbedingungen mussten Sie 400.000 Dollar für einen wohltätigen Zweck spenden. Dazu kamen drei Millionen Dollar Anwaltskosten, um den Streit aus der Welt zu schaffen. War das ein angemessener Preis für die Aufmerksamkeit, die Ihnen das Projekt Milli Vanilli bescherte?
Frank Farian: Ich kann nicht sagen, dass ich traurig bin, wenn mir Leute noch heute zu der Musik von Milli Vanilli gratulieren. Ich reise oft und dann fragen mich die Menschen, was ich so mache. Wenn ich dann erzähle, ich habe Milli Vanilli produziert, ist das immer ein Gesprächsthema, mit dem man auch gut durch die Passkontrollen kommt. Insofern ist die ganze Sache nicht von Nachteil für mich. Und immerhin: Milli Vanilli gehört bis heute in die Top Ten der internationalen Pop-Skandale.
Frage: Wie wichtig ist Ihnen Ihre Macht als Produzent?
Frank Farian: Sehr wichtig! Wenn ich nicht genau weiß, was ich will, dann habe ich verloren. Ich sage immer, ich bin ein Dominator, ein sanfter Diktator im Studio.
Frage: Unterwerfen sich die Interpreten Ihnen?
Frank Farian: Die haben oft gar nicht gemerkt, dass ich sie dominiert habe. Sie haben mir letzten Endes einfach Respekt entgegengebracht. Ich habe mit jedem Künstler bisher ein wunderbares Verhältnis gehabt, obwohl ich ihn dominiert habe. Der Puppenspieler im Hintergrund war schon immer meine Rolle und ich muss Ihnen sagen, das macht mir großen Spaß!
Frage: Als Sie im Studio das zweite Album für Milli Vanilli aufgenommen haben, rief Michael Jackson an. Sie sollten mit ihm vier Songs produzieren, lehnten das Angebot aber ab. Hatten Sie Angst, bei ihm diese Macht nicht ausüben zu können?
Frank Farian: Ja, das stimmt. Aber ich muss dazu sagen: Obwohl ich 1989 der größte Produzent in Amerika war, war mein Englisch damals miserabel. Und wenn ich mich nicht exakt ausdrücken kann, dann bin ich unsicher und treffe vielleicht musikalische Fehlentscheidungen. Hinzu kommt, dass ich als Produzent alles koordinieren will: Den Song, den Künstler und das Image. Bei einem so großen Künstler wie Michael Jackson wäre das schwierig geworden.
Frage: Als in Großbritannien mit "Pop Idol" die erste große Castingshow im Fernsehen lief, haben Sie sich schnell die Namensrechte gesichert. Das gleiche Konzept wollten Sie auch in Deutschland umsetzen. Allerdings wurden sie ausgebootet.
Frank Farian: Ja, darüber bin ich auch menschlich vom Bertelsmann-Konzern enttäuscht. Immerhin hatte ich damals Dieter Bohlen gefragt, ob er mit mir in die Jury wollte. Der meinte: "Mit Frank immer." Aber dann habe ich zu lange gewartet...
Frage: Und die deutsche Variante startete unter dem Titel "Deutschland sucht den Superstar" - mit Dieter Bohlen in der Jury, aber ohne Sie. Ärgert Sie das?
Frank Farian: Nein, nein! Ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, spätestens nach der dritten Sendung hätte ich das Handtuch geworfen. Aus zwei Gründen: Ich liebe die Arbeit in meinem Studio in Miami. Schon damals hatte ich die Planung für mein Musical "Daddy Cool" im Kopf und zeitlich hätte ich das einfach nicht hinbekommen. Außerdem bin ich nicht der Typ, der ins Fernsehen geht, ich bin eher introvertiert. Wenn ich mir vorstelle, für jede Staffel zwei bis drei Monate im Jahr da zu sitzen und all die Dilettanten anzuhören, da hätte ich Kreuzschmerzen bekommen.
Frage: Im Jahr 2004 haben Sie als Reaktion auf Dieter Bohlens Buch "Hinter den Kulissen" ebenfalls ein Buch geschrieben. Unter dem Titel "Stupid dieser Bohlen: Die Wahrheit und Nichts als die Wahrheit über den Pop-Hochstapler" haben Sie eine bittere Abrechnung veröffentlicht. Darin bezeichnen Sie Ihren Kollegen als "Dreckschleuder" und "Provinzkacker". Sind Sie neidisch auf den Erfolg von Herrn Bohlen?
Frank Farian: Wie sollte ich neidisch auf Dieter Bohlen sein, der nicht einmal annähernd an meine Charterfolge herankommt? Er hat jahrelang von einem Nummer-Eins-Hit in Amerika geträumt. Aber das hat er nie geschafft und wird es auch nie schaffen. Ich habe ihn früher sehr gemocht. Er hat immer beteuert, dass ich sein großes Vorbild bin. Angesichts meines großen Erfolgs konnte er schließlich kaum etwas anderes sagen. Er stand damals noch am Beginn seiner Karriere. Aber dann hat er das Buch "Hinter den Kulissen" geschrieben. Darin beleidigt er mich und auch viele andere seiner Freunde, nur um einen Skandal zu produzieren, damit er möglichst viele Bücher verkaufen kann. Man beleidigt seine Freunde nicht, das gehört sich einfach nicht. Ich kenne viele Menschen, die ihm früher sehr wohlgesinnt waren, die können Sie mittlerweile zu seinen Feinden zählen. Mir ist der Bohlen inzwischen egal. Was der macht, interessiert mich so viel, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Mittlerweile hat er seinen Weg gefunden und verdient als Klamauk-Macher im Fernsehen sein Geld. Aber eines sage ich Ihnen, Bohlen war Komponist, mehr nicht. Er war nie Produzent, das haben andere für ihn erledigt.
Frage: Um noch einmal zu den Castingshows zurück zu kommen: Glauben Sie daran, dass in solchen Formaten echte Superstars gefunden werden?
Frank Farian: Wie lange gibt es die Sendung jetzt schon? Länger als acht Jahre. Und hat man bis heute einen gefunden? Nein. "Deutschland sucht den Superstar" und findet ihn nicht. Der Titel der Sendung ist schon eine maßlose Übertreibung. Udo Jürgens, Herbert Grönemeyer und Peter Maffay, das sind echte Superstars. Ein Superstar muss sich erst bewähren mit vielen Hits und einem künstlerischen Anspruch. In dieser Show werden nur Eintagsfliegen produziert. Eigentlich sollte sie "Deutschland sucht die Eintagsfliege" heißen. Das wäre die Realität.
Frage: Bis auf Mark Medlock, der die vierte Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" gewann, sind alle anderen Sieger des Formats bereits nach ein oder zwei Chart-Songs in der Versenkung verschwunden. Warum gelingt den Gewinnern von Casting-Shows oft nur ein einziger Hit?
Frank Farian: Sie müssen bedenken, dass diese Songs nicht von selbst gewachsen sind. Angetrieben wird das Ganze doch durch die Hysterie der Zuschauer, die dann eine Platte kaufen, nur damit sie diesen Song haben. Unter normalen Umständen würden diese Produktionen nicht über die Top 20 hinauskommen. Die tatsächlichen Gewinner von Deutschland sucht den Superstar sind RTL und Bertelsmann, denn für die regnet es Geld.
Frage: Wie groß ist Ihr Mitleid mit den Teilnehmern einer Castingshow, wenn diese für kurze Zeit auf dem Gipfel der medialen Aufmerksamkeit stehen und dann umso tiefer fallen?
Frank Farian: Manchmal tun sie mir schon ein wenig leid, weil die Enttäuschung nach dem Fall größer ist als die Euphorie zuvor.
Frage: Dann fehlt Ihnen bei "Deutschland sucht den Superstar" die Moral?
Frank Farian: Über die Moral bei dieser Show will ich nicht urteilen. RTL wird immer behaupten, es sei moralisch, wenn man Geld verdient und dadurch Arbeitsplätze sichert, was ja auch stimmt. Im Übrigen finde ich Castingshows als Volksbelustigung sehr gut. Wir haben so etwas Ähnliches schon 1963 gemacht, als bei unseren Auftritten zwischenzeitlich die Zahlen der Konzertbesucher zurückgingen. Da haben wir uns gesagt: "Musik ist schön und gut, aber die Leute brauchen auch Unterhaltung zwischendurch." Und dann haben wir während der Show Nachwuchswettbewerbe veranstaltet und die Leute sind herbeigeströmt, um sich kaputt zu lachen. Das ist Unterhaltung pur, wenn man sieht, wie der Nachbar sich da abkrächzt. Da schlagen sich alle vor Freude auf die Schenkel. Und was die Frage nach dem künstlerischen Anspruch der Castingshows betrifft, ach ja… Wir haben genug gute Künstler auf der ganzen Welt. Wem die Show nicht passt, der kann abschalten. Oft liefern die Castingshows ja auch wunderbare Geschichten. Denken Sie an Susan Boyle, die lebte ein ereignisloses Leben, hatte wenig Geld und plötzlich wird sie berühmt und die Leute kaufen in Scharen ihre Platten. Ohne die Castingshow wäre sie nie aus ihrem grauen Alltag herausgekommen. An diesem Beispiel sieht man aber auch, dass die Castingshows sich von dem normalen Musik-Geschäft schon längst losgelöst und eine große Eigenständigkeit entwickelt haben. Beides läuft parallel, das ist doch großartig!
Das Interview führten Jana Seifried und Ilka Waetzold
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ZUR PERSON
Frank Farian wurde 1941 als Franz Reuther in Kirn an der Nahe geboren. Nach einer Ausbildung zum Koch stand er zunächst selbst auf der Bühne und war in der Bundesrepublik sowohl als Schlagersänger wie auch mit seiner Band Frank Farian und die Schatten relativ erfolgreich. Unter dem Namen Boney M. veröffentlichte Farian 1975 das Lied "Baby, Do You Wanna Bump". Erst als daraus ein Hit wurde, castete Farian Interpreten, die den Song auf die Bühne brachten und von nun an Boney M. bildeten. Mit ihnen erzielte Farian zahlreiche Welterfolge (darunter Titel wie "Rasputin" und "Rivers Of Babylon"), stets mit seiner eigenen Stimme im Hintergrund. 1989 sorgte Farian mit dem von ihm produzierten Popduo Milli Vanilli für einen Skandal. Er musste den Grammy für die beste Newcomer-Band wieder zurückgeben, nachdem bekannt geworden war, dass die Stars der Band nicht selbst sangen. Farian produzierte etliche weitere erfolgreiche Sänger und Gruppen wie Eruption, No Mercy, La Bouche, Meat Loaf. Heute zählt er mit über 850 Millionen verkauften Tonträgern zu den international erfolgreichsten Musikproduzenten und arbeitet noch immer als Komponist, Autor und Produzent in seinen Studios in Miami und in Rosbach bei Frankfurt.
Starproduzent Frank Farian: "Deutschland sucht den Superstar - und findet ihn nicht"
Mit Boney M. schuf er eine der erfolgreichsten Retortenbands des Pop, mit Milli Vanilli löste er einen Skandal aus: Im Interview spricht Musikproduzent Frank Farian über Castingshows als Volksbelustigung, seinen Krach mit Dieter Bohlen und ein Angebot von Michael Jackson.
Frage: Herr Farian, Mitte der siebziger Jahre gehörten Sie zu den ersten Produzenten, die eine Musikband durch eine Casting-Agentur besetzen ließen. Am Anfang stand der Song "Baby, Do You Wanna Bump", den Sie schrieben und im Studio mit Ihrer Stimme in verschiedenen Tonlagen aufnahmen. Als der Song in die Hitparaden kam und Sie in einer Fernsehshow auftreten sollten, casteten Sie kurzerhand vier Interpreten, die unter dem Bandnamen Boney M. Ihren Song auf die Bühne brachten. Warum wollten Sie nicht selbst ins Scheinwerferlicht? Fanden Sie sich zu hässlich?
Frank Farian: Ich war nie der wirklich gut aussehende Typ, eher unauffällig. Vielleicht lag es an meiner schiefen Nase, vielleicht war ich einfach zu faul, um so viel zu reisen. Meine erste Band, Frank Farian und die Schatten, hatte ich ja schon 1961 gegründet und da waren wir ständig auf Tour, zehn Jahre lang. Weil ich erstens Geld verdienen musste, um meine Familie zu ernähren und zweitens auch schon Geld beiseite legte für meine Produktionen, die ich bereits damals im Kopf hatte. Als ich sie mit Boney M. dann tatsächlich umsetzen konnte, war ich einfach zu müde, um auf den Live-Touren immer dabei zu sein.
Frage: Boney M. bestand aus den drei Sängerinnen Liz Mitchell, Marcia Barrett und Maizie Williams. Dazu tanzte, oft mäßig bekleidet, Bobby Farrell, der zuvor als DJ gearbeitet hatte. Alle vier wurden in der Karibik geboren und kamen als Jugendliche nach Europa. Zählte beim Casting für Boney M. primär die Optik?
Frank Farian: Die mussten sowohl gut singen als auch gut performen! Die Interpretation auf der Bühne und im Fernsehen ist essentiell. Der Künstler muss dem Publikum sein Image und seine Musik rüberbringen, er muss über den Bildschirm im Wohnzimmer präsent sein. Mit "Baby, Do You Wanna Bump" wollte ich endlich internationalen Erfolg haben. Darauf war ich immer ganz scharf, meine Gier nach einem Welterfolg war sehr ausgeprägt. Meine Stimme reichte allerdings nicht aus, um ein ganzes Album zu füllen. Also suchte ich noch jemanden, der mich gesanglich unterstützen konnte. Und das war Liz Mitchell. Sie war der Schlüssel zum ganz großen Erfolg. In Kombination natürlich mit meiner Wenigkeit, als hart arbeitender Produzent und Komponist.
Frage: Bobby Farrell konnte aber nicht singen. Sein Part beschränkte sich auf das Tanzen, dazu bewegte er die Lippen zu Ihrer Stimme.
Frank Farian: Ja, aber Bobby Farrell auf die Bühne zu bringen, war für mich ein Muss. Ich habe nämlich schon früh erkannt, dass man mit wenigen Mitteln und einem gut aussehenden Typen viel mehr erreichen kann, als mit einem herausragenden Musiker, der aber eine schiefe Nase hat oder einfach schlecht aussieht. Stellen Sie sich einmal Elvis Presley ohne sein schönes Gesicht vor. Es gab mit Sicherheit bessere Sänger als Presley, aber die sahen eben nicht so sexy aus.
Frage: Auch in Castingshows wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Popstars" suchen Musikproduzenten nach Interpreten für ihre Songs. Sind Sie der Avantgardist der Casting-Gesellschaft?
Frank Farian: Mit Casting in diesem Sinne hatte Boney M. nichts zu tun. Das war ein Projekt und ich war der Chef. Ich habe auch Meat Loaf produziert, der eine Bombenstimme hat. Oder Far Corporation, für die ich den Sänger von Toto, Bobby Kimball, engagierte, einen der besten Rock-Sänger der Welt. Das waren alles herausragende Stimmen, die Sie in keiner Castingshow finden.
Frage: Warum musste Bobby Farrell dann mit auf die Bühne?
Frank Farian: Na wegen der Show! Und irgendwie musste ja auch meine tiefe Stimme erklärt werden, die in den Songs zu hören ist. Wir haben aber nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass Frank Farian das fünfte Mitglied von Boney M. war. Bobby Farrell hat immer gesagt: "Meine Beine und deine Stimme, das ist unschlagbar." Er hat meine Stimme auf der Bühne so interpretiert, dass man gar nicht glauben konnte, dass das eigentlich Frank Farian ist. Wir waren eine richtige Einheit.
Frage: Aber authentisch war diese Musik nicht.
Frank Farian: Es hat aber authentisch ausgesehen und sich auch so angehört. Das hat mir genügt. Wissen Sie, ich wollte immer nur meine Musik nach oben bringen. Ich war gierig nach einer Nummer eins. Und als ich das geschafft hatte, da wollte ich den Erfolg auch nicht mehr hergeben. Ich wollte immer wieder einen neuen Hit. Zehn, 15-mal konnte ich einen Hit nach dem nächsten landen. Das war ein wunderschönes Gefühl, eine Art Bestätigung für die jahrelangen Entbehrungen. Schon als kleines Kind habe ich geträumt, dass meine Stimme aus dem Radio kommt. Ich hatte mich mein ganzes Leben kaputt geträumt nach diesem Erfolg. Und jetzt, wo er endlich da war, hätte ich sagen sollen: "Das ist nicht authentisch, das mache ich nicht mehr?" Nein! Ich habe ja so hart dafür gearbeitet.
Frage: Ist dieser Ehrgeiz auch der Grund dafür, dass Sie bis heute keine deutschsprachigen Künstler produziert haben? Abgesehen von Ihrem frühen Erfolg in den siebziger Jahren als Schlagerstar mit "Rocky", feierten Sie Ihre großen Hits ausschließlich mit englischsprachigen Songs.
Frank Farian: Ich habe früh erkannt, dass ich mit deutschen Künstlern keine Welterfolge feiern kann. Die Engländer und auch die Amerikaner spielen nämlich keine deutsche Musik im Radio. Nena war die große Ausnahme. Deswegen achtete ich immer peinlichst darauf, dass man meiner Musik nicht anhört, woher sie kommt. Bei Milli Vanilli haben sich alle gewundert, dass diese Band tatsächlich in Rosbach bei Frankfurt produziert wird.
Frage: Ihr Popduo Milli Vanilli war ebenfalls eine äußerst erfolgreiche Band, die auch in den USA die Charts stürmte und so weit nach oben kam wie keine andere deutsche Produktion zuvor. Dann allerdings sorgte ein Skandal für den Absturz. Nachdem bekannt geworden war, dass die beiden Stars nicht selbst sangen, sondern nur die Lippen zu Melodien aus der Konserve bewegten, mussten Sie 1990 den Grammy für die beste Newcomer-Band wieder zurückgeben. Offensichtlich wurde hier die Grenze zwischen akzeptierter Künstlichkeit und Irreführung überschritten. Wie konnte Ihnen als Pop-Profi ein solcher Missgriff passieren?
Frank Farian: Ich hatte damals einen Song produziert, dessen Originalsänger aber nicht telegen genug waren, um ein Musik-Video mit ihnen zu drehen. Nun hatten mich kurz zuvor zwei junge Männer, Robert Pilatus und Fabrice Morvan, kontaktiert, die attraktiv aussahen und sich gut bewegen konnten. Also dachte ich mir, die zwei Jungs können in dem Video doch tanzen. Das war die Grundidee. Als ich dann zum Videodreh kam, hatten sich Robert und Morvan schon die Mikrophone geschnappt und bewegten ihre Lippen zum Playback. Ich wollte das beenden und sagte, dass wir das nicht machen können. Aber alle anderen meinten: "Sei ruhig, lass alles schön laufen. Die beiden sind eine Weltsensation!" Dann habe ich nichts mehr gesagt.
Frage: 20 Millionen Alben haben Milli Vanilli verkauft. Wie haben Pilatus und Morvan auf den plötzlichen, weltweiten Erfolg reagiert?
Frank Farian: Die wurden ja von jetzt auf gleich in schwindelnde Höhen katapultiert. Sie wurden arrogant, kamen nur noch mit dicken Sonnenbrillen ins Studio und haben niemandem mehr "Guten Tag" gesagt. Rob verkündete sogar: "Ich gebe nur noch Interviews, wenn ich vorher Drogen bekomme." Das hat plötzlich eine ganz eigene Dynamik entwickelt, irgendwann dachten die zwei wirklich, sie seien die Sänger von Milli Vanilli. Rob rief mir im Studio zu: "Dreh' mal meine Stimme lauter!" Er war völlig realitätsfremd. Bei ihrer Amerika-Tournee, die sie gegen meinen Willen gemacht haben, war es dann so weit: Bei einem Auftritt blieb das Playback-Band hängen und es lag offen zutage, dass die beiden nicht singen konnten.
Frage: Was haben Sie empfunden, als der Schwindel aufflog?
Frank Farian: Das war für mich eine absolute Niederlage. Ich habe es als großen Betrug am Publikum empfunden und mir geschworen, so etwas nie wieder zu machen.
Frage: Wie ist es überhaupt so weit gekommen? Haben Sie die Zügel entgleiten lassen?
Frank Farian: Ja. Aber das geht nicht. Ich muss die Zügel in der Hand behalten. Und deswegen habe ich auch nach dem zweiten Album den Schlussstrich gezogen, reinen Tisch gemacht und der Öffentlichkeit die Wahrheit mitgeteilt.
Frage: Robert Pilatus hat des Absturz nicht verkraftet. Er starb 1998 an einer Überdosis Drogen einsam in einem Hotelzimmer in Friedrichsdorf. Wie groß sind Ihre persönlichen Schuldgefühle?
Frank Farian: Robert war nicht mehr zu helfen. Diese ganze Aufmerksamkeit hat ihn kaputt gemacht. Schon 1991 hatte er sich die Pulsadern aufgeschnitten, sein ganzes Geld ging für Drogen drauf. Irgendwann hat er dann Autos aufgebrochen und musste ins Gefängnis. Da habe ich die Kaution gezahlt und ihn rausgeholt. 10.000 Mark habe ich ihm gegeben, damit er in Sri Lanka einen Entzug macht. Wir wollten nämlich ein Comeback starten. Aber Rob ist mit dem Geld zum Bahnhof gefahren und hat sich vollgekokst. Einen Tag später kam er abends ins Studio, am ganzen Körper zitternd. Er war völlig blank, nicht einmal den Taxifahrer konnte er mehr bezahlen. Ich sagte: "Geh ins Hotel und schlaf dich aus. Morgen reden wir über die Sache." Aber dann war er tot. Mittags um drei.
Frage: Der Skandal von Milli Vanilli brachte Ihnen nicht nur Kritik und Häme ein, Sie wurden auch zur Kasse gebeten. Wegen Verletzung der Wettbewerbsbedingungen mussten Sie 400.000 Dollar für einen wohltätigen Zweck spenden. Dazu kamen drei Millionen Dollar Anwaltskosten, um den Streit aus der Welt zu schaffen. War das ein angemessener Preis für die Aufmerksamkeit, die Ihnen das Projekt Milli Vanilli bescherte?
Frank Farian: Ich kann nicht sagen, dass ich traurig bin, wenn mir Leute noch heute zu der Musik von Milli Vanilli gratulieren. Ich reise oft und dann fragen mich die Menschen, was ich so mache. Wenn ich dann erzähle, ich habe Milli Vanilli produziert, ist das immer ein Gesprächsthema, mit dem man auch gut durch die Passkontrollen kommt. Insofern ist die ganze Sache nicht von Nachteil für mich. Und immerhin: Milli Vanilli gehört bis heute in die Top Ten der internationalen Pop-Skandale.
Frage: Wie wichtig ist Ihnen Ihre Macht als Produzent?
Frank Farian: Sehr wichtig! Wenn ich nicht genau weiß, was ich will, dann habe ich verloren. Ich sage immer, ich bin ein Dominator, ein sanfter Diktator im Studio.
Frage: Unterwerfen sich die Interpreten Ihnen?
Frank Farian: Die haben oft gar nicht gemerkt, dass ich sie dominiert habe. Sie haben mir letzten Endes einfach Respekt entgegengebracht. Ich habe mit jedem Künstler bisher ein wunderbares Verhältnis gehabt, obwohl ich ihn dominiert habe. Der Puppenspieler im Hintergrund war schon immer meine Rolle und ich muss Ihnen sagen, das macht mir großen Spaß!
Frage: Als Sie im Studio das zweite Album für Milli Vanilli aufgenommen haben, rief Michael Jackson an. Sie sollten mit ihm vier Songs produzieren, lehnten das Angebot aber ab. Hatten Sie Angst, bei ihm diese Macht nicht ausüben zu können?
Frank Farian: Ja, das stimmt. Aber ich muss dazu sagen: Obwohl ich 1989 der größte Produzent in Amerika war, war mein Englisch damals miserabel. Und wenn ich mich nicht exakt ausdrücken kann, dann bin ich unsicher und treffe vielleicht musikalische Fehlentscheidungen. Hinzu kommt, dass ich als Produzent alles koordinieren will: Den Song, den Künstler und das Image. Bei einem so großen Künstler wie Michael Jackson wäre das schwierig geworden.
Frage: Als in Großbritannien mit "Pop Idol" die erste große Castingshow im Fernsehen lief, haben Sie sich schnell die Namensrechte gesichert. Das gleiche Konzept wollten Sie auch in Deutschland umsetzen. Allerdings wurden sie ausgebootet.
Frank Farian: Ja, darüber bin ich auch menschlich vom Bertelsmann-Konzern enttäuscht. Immerhin hatte ich damals Dieter Bohlen gefragt, ob er mit mir in die Jury wollte. Der meinte: "Mit Frank immer." Aber dann habe ich zu lange gewartet...
Frage: Und die deutsche Variante startete unter dem Titel "Deutschland sucht den Superstar" - mit Dieter Bohlen in der Jury, aber ohne Sie. Ärgert Sie das?
Frank Farian: Nein, nein! Ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, spätestens nach der dritten Sendung hätte ich das Handtuch geworfen. Aus zwei Gründen: Ich liebe die Arbeit in meinem Studio in Miami. Schon damals hatte ich die Planung für mein Musical "Daddy Cool" im Kopf und zeitlich hätte ich das einfach nicht hinbekommen. Außerdem bin ich nicht der Typ, der ins Fernsehen geht, ich bin eher introvertiert. Wenn ich mir vorstelle, für jede Staffel zwei bis drei Monate im Jahr da zu sitzen und all die Dilettanten anzuhören, da hätte ich Kreuzschmerzen bekommen.
Frage: Im Jahr 2004 haben Sie als Reaktion auf Dieter Bohlens Buch "Hinter den Kulissen" ebenfalls ein Buch geschrieben. Unter dem Titel "Stupid dieser Bohlen: Die Wahrheit und Nichts als die Wahrheit über den Pop-Hochstapler" haben Sie eine bittere Abrechnung veröffentlicht. Darin bezeichnen Sie Ihren Kollegen als "Dreckschleuder" und "Provinzkacker". Sind Sie neidisch auf den Erfolg von Herrn Bohlen?
Frank Farian: Wie sollte ich neidisch auf Dieter Bohlen sein, der nicht einmal annähernd an meine Charterfolge herankommt? Er hat jahrelang von einem Nummer-Eins-Hit in Amerika geträumt. Aber das hat er nie geschafft und wird es auch nie schaffen. Ich habe ihn früher sehr gemocht. Er hat immer beteuert, dass ich sein großes Vorbild bin. Angesichts meines großen Erfolgs konnte er schließlich kaum etwas anderes sagen. Er stand damals noch am Beginn seiner Karriere. Aber dann hat er das Buch "Hinter den Kulissen" geschrieben. Darin beleidigt er mich und auch viele andere seiner Freunde, nur um einen Skandal zu produzieren, damit er möglichst viele Bücher verkaufen kann. Man beleidigt seine Freunde nicht, das gehört sich einfach nicht. Ich kenne viele Menschen, die ihm früher sehr wohlgesinnt waren, die können Sie mittlerweile zu seinen Feinden zählen. Mir ist der Bohlen inzwischen egal. Was der macht, interessiert mich so viel, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Mittlerweile hat er seinen Weg gefunden und verdient als Klamauk-Macher im Fernsehen sein Geld. Aber eines sage ich Ihnen, Bohlen war Komponist, mehr nicht. Er war nie Produzent, das haben andere für ihn erledigt.
Frage: Um noch einmal zu den Castingshows zurück zu kommen: Glauben Sie daran, dass in solchen Formaten echte Superstars gefunden werden?
Frank Farian: Wie lange gibt es die Sendung jetzt schon? Länger als acht Jahre. Und hat man bis heute einen gefunden? Nein. "Deutschland sucht den Superstar" und findet ihn nicht. Der Titel der Sendung ist schon eine maßlose Übertreibung. Udo Jürgens, Herbert Grönemeyer und Peter Maffay, das sind echte Superstars. Ein Superstar muss sich erst bewähren mit vielen Hits und einem künstlerischen Anspruch. In dieser Show werden nur Eintagsfliegen produziert. Eigentlich sollte sie "Deutschland sucht die Eintagsfliege" heißen. Das wäre die Realität.
Frage: Bis auf Mark Medlock, der die vierte Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" gewann, sind alle anderen Sieger des Formats bereits nach ein oder zwei Chart-Songs in der Versenkung verschwunden. Warum gelingt den Gewinnern von Casting-Shows oft nur ein einziger Hit?
Frank Farian: Sie müssen bedenken, dass diese Songs nicht von selbst gewachsen sind. Angetrieben wird das Ganze doch durch die Hysterie der Zuschauer, die dann eine Platte kaufen, nur damit sie diesen Song haben. Unter normalen Umständen würden diese Produktionen nicht über die Top 20 hinauskommen. Die tatsächlichen Gewinner von Deutschland sucht den Superstar sind RTL und Bertelsmann, denn für die regnet es Geld.
Frage: Wie groß ist Ihr Mitleid mit den Teilnehmern einer Castingshow, wenn diese für kurze Zeit auf dem Gipfel der medialen Aufmerksamkeit stehen und dann umso tiefer fallen?
Frank Farian: Manchmal tun sie mir schon ein wenig leid, weil die Enttäuschung nach dem Fall größer ist als die Euphorie zuvor.
Frage: Dann fehlt Ihnen bei "Deutschland sucht den Superstar" die Moral?
Frank Farian: Über die Moral bei dieser Show will ich nicht urteilen. RTL wird immer behaupten, es sei moralisch, wenn man Geld verdient und dadurch Arbeitsplätze sichert, was ja auch stimmt. Im Übrigen finde ich Castingshows als Volksbelustigung sehr gut. Wir haben so etwas Ähnliches schon 1963 gemacht, als bei unseren Auftritten zwischenzeitlich die Zahlen der Konzertbesucher zurückgingen. Da haben wir uns gesagt: "Musik ist schön und gut, aber die Leute brauchen auch Unterhaltung zwischendurch." Und dann haben wir während der Show Nachwuchswettbewerbe veranstaltet und die Leute sind herbeigeströmt, um sich kaputt zu lachen. Das ist Unterhaltung pur, wenn man sieht, wie der Nachbar sich da abkrächzt. Da schlagen sich alle vor Freude auf die Schenkel. Und was die Frage nach dem künstlerischen Anspruch der Castingshows betrifft, ach ja… Wir haben genug gute Künstler auf der ganzen Welt. Wem die Show nicht passt, der kann abschalten. Oft liefern die Castingshows ja auch wunderbare Geschichten. Denken Sie an Susan Boyle, die lebte ein ereignisloses Leben, hatte wenig Geld und plötzlich wird sie berühmt und die Leute kaufen in Scharen ihre Platten. Ohne die Castingshow wäre sie nie aus ihrem grauen Alltag herausgekommen. An diesem Beispiel sieht man aber auch, dass die Castingshows sich von dem normalen Musik-Geschäft schon längst losgelöst und eine große Eigenständigkeit entwickelt haben. Beides läuft parallel, das ist doch großartig!
Das Interview führten Jana Seifried und Ilka Waetzold
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ZUR PERSON
Frank Farian wurde 1941 als Franz Reuther in Kirn an der Nahe geboren. Nach einer Ausbildung zum Koch stand er zunächst selbst auf der Bühne und war in der Bundesrepublik sowohl als Schlagersänger wie auch mit seiner Band Frank Farian und die Schatten relativ erfolgreich. Unter dem Namen Boney M. veröffentlichte Farian 1975 das Lied "Baby, Do You Wanna Bump". Erst als daraus ein Hit wurde, castete Farian Interpreten, die den Song auf die Bühne brachten und von nun an Boney M. bildeten. Mit ihnen erzielte Farian zahlreiche Welterfolge (darunter Titel wie "Rasputin" und "Rivers Of Babylon"), stets mit seiner eigenen Stimme im Hintergrund. 1989 sorgte Farian mit dem von ihm produzierten Popduo Milli Vanilli für einen Skandal. Er musste den Grammy für die beste Newcomer-Band wieder zurückgeben, nachdem bekannt geworden war, dass die Stars der Band nicht selbst sangen. Farian produzierte etliche weitere erfolgreiche Sänger und Gruppen wie Eruption, No Mercy, La Bouche, Meat Loaf. Heute zählt er mit über 850 Millionen verkauften Tonträgern zu den international erfolgreichsten Musikproduzenten und arbeitet noch immer als Komponist, Autor und Produzent in seinen Studios in Miami und in Rosbach bei Frankfurt.
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